Ausgabe 2 - 2020 - Timothy Morton

Den Tatsachen ins Auge blicken

Wir alle wissen, dass die ökologische Literatur – insbesondere die, die wissenschaftliche Informationen liefert, wie sie vielleicht in Zeitungen, auf jeden Fall aber in Büchern mit Titeln wie dem oben stehenden zu finden sind – sehr viele Fakten aufbieten muss. Eine Menge an Daten. Auch wenn man nicht groß darüber nachdenkt – und niemand denkt groß darüber nach –, liegt man sicher richtig in der Annahme, dass diese Daten in der Regel in einem bestimmten Modus dargeboten werden. Der Darbietungsmodus ökologischer Information hat ein gewisses Flair, einen bestimmten Stil – er geschieht in einem bestimmten Möglichkeitsraum. Zu meinen Aufgaben als Geisteswissenschaftler gehört es, diese Möglichkeitsräume zu ergründen, insbesondere dann, wenn wir uns ihrer nur vage bewusst sind. Möglichkeitsräume, die uns als solche nicht klar vor Augen stehen, üben unter Umständen alle möglichen Formen von Kontrolle über uns aus, Kontrolle, die wir nicht hinnehmen möchten, oder jedenfalls Kontrolle, über deren Koordinaten wir gerne Bescheid wüssten. Man denke nur über die lange Geschichte des Sexismus oder des Rassismus nach: Beide haben unser Verhalten auf alle erdenkliche Arten, derer wir uns noch nicht einmal bewusst sein dürften, beeinflusst. Und es hat von vielen Seiten viel Zeit und Mühen gekostet, diese auf Vorurteilen beruhenden und als selbstverständlich geltenden Annahmen, Denk- und Verhaltensmuster evident zu machen.

Wie sehen die Gesetze der Schwerkraft im Möglichkeitsraum aus? Wo ist oben, wo unten? Was gilt als falsch, was als richtig? Wie weit kann man in diesem Raum gehen, bevor man in einen anderen Raum eintritt? Wie weit zum Beispiel kann man den Darbietungsmodus ökologischer Information verzerren, bevor sie sich in etwas anderes verwandelt? Mit dieser Frage dürften wir tatsächlich eine gute Methode zur Hand haben, um herauszufinden, was ein Möglichkeitsraum ist; es ist ja auch keine schlechte Idee, Metall zu erhitzen, zu gefrieren, mit Energieimpulsen zu bombardieren, einem Magnetfeld auszusetzen usw., um etwas – das alte Bild vom Biss in die Goldmünze kommt in den Sinn – über seine Beschaffenheit zu erfahren. Das gleiche gilt für die Künste. Welche Qualität ein Theaterstück hat, lässt sich am besten herausfinden, wenn man es in der Fantasie so weit verbiegt und verdreht, bis es etwas völlig anderes geworden ist. Wie verrückt können die Kostüme sein, bis sie völlig neben der Spur sind, etwa: Würde man Shakespeares Hamlet auf dem Jupiter ansiedeln und seine Akteure in Hamsterkostüme kleiden, würde das Stück dann noch als Hamlet zu erkennen sein?

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