Wie sterben war es gewesen, das sachte Hinuntergleiten vom Bergpass. Wie ein Tod war es gewesen, vernunftwidrig, das sachte Gleiten vom Bergpass hinunter und ins Reich des Grauens hinein. Es war wie das Eintauchen in Fieber oder wie dieser tiefe Sturz in ein Loch, von dem du aus dem Schlaf schreckst, weil du dein Stöhnen hörst. Wir waren an diesem Tag über die Berge gefahren und nun in einem fremden Ort gelandet, einem Hotel in Zentral-Washington, in einem Städtchen, nicht weit von Yakima. Die Sonnenfinsternis, die uns hergeführt hatte, war für den nächsten Morgen in aller Frühe angekündigt.
Ich lag im Bett. Gary, mein Mann, lag neben mir und las. Ich lag im Bett und betrachtete das Bild an der Wand des Hotelzimmers. Es war die Kopie eines kleinteiligen, lebensnahen, offensichtlich zeitgenössischen Gemäldes, ein grinsender Clownskopf, der komplett aus Gemüse bestand – nach der alten Idee von Arcimboldo, aber schlecht. Es war eins von diesen Bildern, das man sich eigentlich gar nicht ansehen will und dann leider nie wieder vergisst. Ein geschmackloses Schicksal drängt es dir auf; es wird zum Teil des inneren Sammelsuriums, das du überall mit dir herumschleppst. Seit der totalen Sonnenfinsternis, von der ich schreibe, sind zwei Jahre vergangen. In dieser Zeit habe ich bestimmt vieles vergessen, woran ich mich erinnern wollte, aber das Clownsbild und seinen verrückten Platz in dem alten Hotel habe ich nicht vergessen.
Der Clown war kahl. Oder nein, er trug die typische eng anliegende Gummiperücke, weiß übermalt; sie war über seinen Schädel gespannt, der aus einem Kohlkopf bestand. Sein Haar war aus Büscheln junger Möhren. Aus der weißen Clownsschminke und dem Kohlkopfschädel lugten lachende Menschenaugen. Der Blick des Clowns ähnelte dem Rembrandts auf einigen seiner Selbstporträts: munter, wissend, tief und liebevoll. Die runzligen Schatten um seine Augen waren Stangenbohnen. Die Augenbrauen waren aus Petersilie. Die Ohren waren jeweils eine Schweinsbohne. Die schmalen, sinnlichen Lippen waren rote Chilischoten; zwischen den Lippen hatte er nasse Reihen menschlicher Zähne und eine angedeutete echte Zunge. Das Clownsbild steckte hinter Glas in einem vergoldeten Rahmen.
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