Ausgabe 5 - 1/2022 - Marion Poschmann

Auch über das Frühjahr

Brechts Gedicht Über das Frühjahr beschwört etwas plakativ einen Stadt-Land-Kontrast. „Das Volk“ in „unseren Städten“ ist den Jahreszeiten entfremdet, die Vogelschwärme, gemeint sind wohl die Zugvögel, die im Frühjahr aus dem Süden kommen, meiden die Menschenmassen und Industrieanlagen, und ein Blick auf die vegetativen Veränderungen ist nur noch durch die Scheiben der Transportmittel möglich, bei einer Fahrt über Land. Das Frühjahr gibt es nicht mehr, weil wir es im städtischen Umfeld nicht mehr wahrnehmen können, ist die Botschaft, und das hat Folgen für die Lyrik, weil die Frühlingsklischees nicht mehr nachvollzogen werden können: sie veralten. Nun ist das Gedicht von Brecht in seiner Nennung von Frühlingsmerkmalen auch nicht gerade außerordentlich differenziert. „Heftig grünende Bäume“, „verlängerte Tage“, „Änderung der Luft“ wären Indikatoren, die sich auch heute im städtischen Raum problemlos wahrnehmen lassen, nur fehlen die romantischen Topoi von der Auenlandschaft, der Nachtigall, den blühenden Obstbäumen, die den Frühling in der traditionellen Lyrik erst zum wahren machen. (...)



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