Spätestens seit dem russischen Krieg in der Ukraine ist sie Thema politischer, ökonomischer und kultureller Debatten: Energie. Sabotierte Pipelines, gebrochene Staudämme und beschossene Atomkraftwerke machen die Verletzlichkeit unserer Energieinfrastrukturen greifbar – und die unserer gesamten energieintensiven Lebensform. Das fossile Zeitalter, das Karbon- und Petromoderne ermöglichte, hat in der westlichen Welt weitreichende Freiheitsroutinen etabliert. Zugleich aber untergräbt es die globalen Lebensgrundlagen und macht die Abhängigkeiten sicht- und spürbar, mit denen diese Freiheiten erkauft sind. Damit überlagern sich die vom Krieg angefachten Diskussionen über Versorgungssicherheit mit Debatten, die seit langem über die Notwendigkeit einer postfossilen Kultur geführt werden. Denn: Energieformen prägen Kulturformen.
Geschichte lässt sich immer schon als Geschichte von Energiewenden und Konflikten zwischen Energieregimen lesen. Ideologien von Fortschritt und Wachstum oder Konzepte der Reduktion und des Verzichts flankieren diese Auseinandersetzungen. Dabei wird nicht nur verhandelt, was aus den Leitungen kommt. Als ›energeia‹ bedeutet Energie seit Aristoteles eine Wirkkraft, die ein Potenzielles ins Sein bringt, etwas vor Augen führen kann. Energie ist folglich auch eine poetologische Kategorie. Die
Zusammenhänge zwischen literarischen Schreibenergien und umgebenden Energiekulturen dürften einige Überlegungen wert sein.
In dieser Ausgabe reden wir über die Permanenz der Petromoderne im Krieg und das Energiemanagement der Finanzmärkte. Wir begegnen der Camerata nucleare, dem Kammerorchester der westdeutschen Energiewirtschaft, erinnern uns an autofreie Sonntage in der alten Bundesrepublik und lesen Windradromane der Gegenwartsliteratur. Außerhalb des Schwerpunkts zu Energiefragen aber interessiert uns das Anthropozän als ästhetisches Problem. Und: Wir lauschen fasziniert dem Gesang der Zikaden.